Largo Winch:
Zu viel des Guten
Alle schreien nach Largo Winch. In Frankreich ist unlängst ein neuer Band erschienen - und kann wegen seiner wüst zusammengewürfelten Story nicht überzeugen.
Fragt man deutsche Comicleser, welchen französischen Comic sie unbedingt auf Deutsch lesen wollen, steht Largo Winch ganz oben auf der Wunschliste. Ehapa hat nach vier Episoden die Segel gestrichen. Seither rührt sich wenig. Die Lizenzgebühren, die der Originalverleger Dupuis verlangt, seien inakzeptabel hoch, hört man. Die Manager bei Dupuis beharren wohl auf garantierten Verkaufszahlen, die jede realistische Prognose für den deutschsprachigen Markt sprengen. So warten die deutschen Fans weiter - und hoffen auf eine Rückkehr von Largo Winch in deutscher Sprache. Die Aussichten darauf aber sind trübe.
Riesenerfolg in Frankreich
Nicht so in Frankreich. Dort erzielt Largo Winch wahre Auflagenrekorde: Noch jedes Album hat sich weit über hunderttausendmal verkauft. Nun ist auf französisch Band zwölf der Serie herausgekommen, und mit dieser Episode, "Shadow" geht wieder eine zweibändige Geschichte zu Ende, die letztes Jahr mit "Golden Gate" (Band 11) begann.
Szenarist Jean van Hamme, Spitzname "Monsieur zehn Prozent", weil jeder zehnte französische Comic aus seiner Feder stammen soll, hat ein weiteres Mal eine turbulente Action-story gedrechselt, die Sex, Crime und Business aufs Wildeste miteinander vermengt. Vor der spektakulären Szenerie San Franciscos und der kalifornischen Wüste gerät der jungenhafte Milliardär Largo Winch erneut in die Fänge einer teuflischen Intrige. Wir hatten den Helden am Ende von Band elf nach einer rasanten Flucht-szene verlassen - ein Cliffhanger aus dem Lehrbuch: Largo sitzt im Knast, unter Anklage der Vergewaltigung einer Minderjährigen. Sein Finanzchef Dwight Cochrane schmort ebenfalls im Gefängnis - ihm wirft man Steuerhinterziehung vor. Unterdessen greifen die Bösewichter um den finsteren Don Candido nach dem Winch-Fernsehsender W9 - ein Millionenverlust für Largos Group W, und scheinbar lässt sich nichts dagegen unternehmen. Zu allem Überfluss halten die Schurken aber auch noch die schöne Controllerin Sarah Washington aus der Winch-Zentrale in ihren Kerkern gefangen - da wird es höchste Zeit, dass der Serienheld Largo selbst die Dinge in die Hand nimmt...
Dick aufgetragen
Die Story um die kriminell eingefädelte Übernahme eines TV-Senders bleibt alles in allem reichlich unglaubwürdig. Van Hamme mischt wüst zusammen, was ihm in den Sinn kommt und was ihm noch an Pflichtbausteinen für seine Groschenheftschmonzette fehlt: Am Ende bekommen wir als Bösewicht einen angehenden Medienmogul, der ein Casino betreibt, illegale Prostituierte am Laufen hat und dessen rechte Hand aus blanker Liebe zur Quälerei Gewaltvideos der abwegigsten Sorte produziert. Van Hamme hätte sich und uns einen Gefallen getan, wenn er hier nicht ganz so dick aufgetragen hätte. So wirken die handelnden Figuren - besonders die Bösewichte - reichlich unmotiviert und damit unglaubwürdig. Eine Beschränkung des Bösen auf menschliches Maß hätte geholfen, die ausufernde Geschichte zu verdichten und damit auch spannender zu gestalten. So aber hangeln sich Action- und Spannungsszenen episodisch aneinander, zusammengehalten lediglich von einem mäßig raffinierten Wirtschaftsverbrechen und den streckenweise reichlich ekelhaften Gewaltvorstellungen des Autors.
Nichts Neues
Auf der grafischen Seite leidet der Comic darunter, dass der Zeichner Philippe Francq mit seinem aseptischen, fast fotorealistischen Stil unseren übersättigten Augen nichts Neues mehr bieten kann. Verfolgungsjagden entlang der hügeligen Straßen von San Francisco? Die Golden-Gate-Brücke? Die Glitzercasinos? Die amerikanische Wüste? Wir haben es alles tausendmal im Kino und im Fernsehen gesehen. Francqs Realismus wird zum Gefängnis, wenn er sich auf abgenudelte Motive stürzt. Ohne den Zauber eines neuen Blickwinkels, ohne uns mit ungewohnten Strichen und Farben zu überraschen, bleibt nur mutlose Langeweile. Auch die Figuren der Serie können nicht mehr überraschen: Zur bewährten Winch-Crew gesellen sich die üblichen Schurken neben den austauschbaren, makel- und seelenlosen Superweibern. Körper und Gesichter bleiben ohne jeden Fehler, ohne Unebenheit, genau wie das gesamte Artwork, und bei aller Perfektion wirkt das letztlich genauso langweilig und trist.
Fast Food
Largo Winch ist vor 15 Jahren fulminant gestartet, aber jetzt hat sich die Idee der Serie ganz offenkundig totgelaufen. Zwölf Bände Largo Winch, das ist wie jeden Tag McDonald's: Die Kost ist perfekt auf den schnellen Verzehr und die Reaktion unserer schlichten Geschmacks-papillen designt, beim ersten Mal findet man das super, aber irgendwann hat man genug von den allzu gefälligen Pappebrötchen. Dann sehnt man sich nach dem individuellen Geschmack eines kernigen Bauernbrots oder nach einem schrumpeligen Apfel aus dem Garten. Zeit für eine Diät haben wir: Van Hamme hat eine Schaffenspause angekündigt, und die kann ihm und der Serie nur gut tun. Vielleicht steht uns ja in zwei Jahren dann der Sinn wieder so richtig nach einem ungesunden und fetten Big Mac. (jd)
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