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Magazin: Manga-Spezial

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Manga-Spezial:

6. Götter, Gräber und Gelehrte

Mit diesem populären Buchtitel von C.W.Ceram läßt sich Anime eigentlich sehr gut beschreiben. Fragt man den westlichen otaku, was ihn am Anime interessiere, so wird man immer wieder auf eine wesentliche Übereinstimmung treffen: Animes Geschichten sind so herrlich unberechenbar. Oft erscheinen uns die Einfälle der Autoren als phantasievolle Geniestreiche. Aber wieder täuscht uns hier unser westlicher Blickwinkel. Japanische Zeichner beziehen ihre Figuren nur sehr selten vollständig aus der eigenen Phantasie. Vielmehr bedienen sie sich der außergewöhnlich reichen kulturellen Geschichte des Inselreiches, um daraus neue Geschichten zu formen. Die Unkenntnis dieser Mythen ist aber nicht der einzige Grund dafür, daß Amerikaner und Europäer immer wieder den Einfallsreichtum der Künstler bewundern. Es liegt vor allem auch daran, daß man in Japan ein anderes Verhältnis zu diesen Geschichten hat. Man spielt gerne mit ihnen und kombiniert sie nach Belieben. Wie aus Bausteinen verschiedener Farbe setzt man aus verschiedensten Versatzstücken, entliehen aus Literatur, Religion und Märchen ein neues Konstrukt zusammen. Während in Europa und Amerika die Kirchen schnell auf die Barrikaden gehen, wenn man die überlieferte Lehre angreift oder neu interpretiert (siehe Scorseses Die letzte Versuchung Christi [1] ), so stört das im fernen Osten kaum jemand. Manche Anime verwenden Versatzstücke aus vielen verschiedenen literarischen Vorlagen und religiösen Mythen. Auf ein eurozentrisches Weltbild umgesetzt hieße das, der Autor nimmt die Passion Jesu Christi, würzt sie mit etwas Ilias und Odyssee für die Actionelemente, gibt etwas Faust für den inneren Kampf des Menschen hinzu und vergißt natürlich weder den Humor à la Shakespeare noch eine Romanze von Brontee. Damit sich das Ganze dann noch gut verkauft, versetzt man die gesamte Handlung dann noch in die Zukunft. Das alles dann noch als Zeichentrick, das ist Anime.

Im vorangegangenen Kapitel wurden bereits die verschiedenen Religionen, die in Japan den Alltag beherrschen, angesprochen. Als der Buddhismus in das Land der aufgehenden Sonne Einzug hielt, verband er sich mit dem einheimischen Schintoismus. Im Gegensatz zu den üblicherweise gewaltsamen Verdrängungsprozessen beim Aufeinandertreffen monotheistischer Religionen flossen diese beiden polytheistischen Glaubensrichtungen friedlich ineinander. Buddhistische Mönche versuchten, die eigenen Gottheiten in den schintoistischen Pantheon zu integrieren, sie mit bereits existierenden kami [2] gleichzusetzen. Sie waren dabei ebenso erfolgreich wie bei der Einbringung ihrer eigenen religiösen Mythen und Geschichten in die japanische Sagenwelt. Es ist keine Seltenheit, daß schintoistische und buddhistische Klöster oder Tempel den selben Platz einnehmen. Im Laufe der Jahrhunderte fanden dann auch Taoismus [3] , Konfuzianismus [4] , Hinduismus [5] und zuletzt sogar das Christentum ihren Platz im spirituellen Leben der Japaner. Scheinbar ohne jegliche Probleme fügten sie diese teilweise grundverschiedenen Glaubensrichtungen zu einem neuen, farbenprächtigen Ganzen. Sie nehmen sich ohne große Skrupel aus jeder Glaubensrichtung das Angenehmste heraus und beweisen dadurch eine erstaunliche Fähigkeit zu eklektizieren. "They are either the last true pagans or the first completely successful postmodernists!"[6]

Wie Schintoismus und Buddhismus brachte natürlich jede neue Religion ihre eigenen Schöpfungsmythen, Wundergeschichten und Sagen mit. Sie alle fanden mehr oder weniger unverändert ihren Platz in der Kultur des Inselreiches. Von Kindesbeinen an wachsen Japaner mit all diesen Mythen auf. Sie sind ihnen so geläufig wie uns nur die Geschichten aus Thora und Bibel von Adam und Eva, Noah oder David. Bestimmte Namen rufen bei ihnen bestimmte Assoziationen hervor, man erkennt sie ohne große Erklärung. Das funktioniert natürlich auch umgekehrt, durch visuelle Hinweise oder bestimmte Wendungen in der Handlung besinnen sich die fernöstlichen Zuschauer einer historischen Person oder einer lange überlieferten Geschichte. Da uns leider dieser unterbewußte Zugang zum Anime fehlt, müssen wir ihn uns erarbeiten. Antonia Levi gibt uns einen hervorragenden Einstieg in dieses komplexe Thema. Eine kleine Auswahl wird auch hier besprochen.

Oft tauchen im Anime sogenannte kami auf. Obwohl dieser Begriff per definitionem eine Bezeichnung für eine schintoistische Gottheit darstellt, kann das Konzept, das hinter dieser Bezeichnung steht, leicht verwirren. Der Begriff kami umfaßt nicht nur unser Verständnis einer omnipotenten Gottheit, sondern bezeichnet generell alle Dinge, denen irgendeine Form von außergewöhnlicher Macht innewohnt. So können kami sowohl mächtige Personen, wie Kaiser oder Feldherren, Bäume oder Berge und sogar so abstrakte Begriffe wie die Furcht, der Haß oder die Liebe sein. Grundsätzlich ist die Übersetzung von kami mit Gott in Synchronisation oder Untertitel nicht falsch, führt uns aber oft sehr in die Irre. Im Grunde genommen ist der Schintoismus eine Naturreligion ähnlich der der nordamerikanischen Ureinwohner oder der frühen europäischen Stammeskulturen.

Die populärsten Gestalten aus Japans mythischer Vorzeit sind Sosano, Amaterasu und Königin Himiko. Bei den ersten beiden handelt es sich um kamis aus der Nihongi und Kojiki, den beiden wichtigsten schintoistischen Mythensammlungen. Sie sind Kinder von Izanami und Izanagi, den ersten Göttern Japans. Das Geschwisterpaar hatte eine inzestuöse Beziehung, aus der eine Reihe von Kindern entsprangen. Unter anderem soll aus dieser Blutlinie auch die kaiserliche Familie hervorgegangen sein. Amaterasu war die Göttin der Sonne. Nach einem besonders heftigen Beziehungsstreit verkriecht sie sich in einer tiefen Höhle und entzieht dadurch der Erde das Licht. Bald siecht die Welt dahin und nur mit Hilfe einer List können die anderen Götter Amaterasu aus dem Dunkeln locken und die Erde retten. Sosano wird daraufhin aus dem Himmel verbannt, damit nicht nochmals ein Streit der beiden die Erde ins Unglück stürzen kann. Sosano kommt zur Erde, wo er zu einer Art Held wird. Man könnte ihn wohl also mit dem griechischen Halbgott Herkules gleichsetzen. Letztlich wird er dann zum Herrn der Unterwelt und söhnt sich mit seiner Schwester aus.

Königin Himiko ist eine sagenumwobene Frau der japanischen Frühgeschichte. Ein chinesischer Mönch berichtet bei der Rückkehr von einer Reise nach Japan von einer Königin, die in einem Palast mit 1000 Frauen und nur einem Mann lebt. Der Mönch weiß zudem zu berichten, daß diese Königin zugleich eine mächtige Schamanin ist. Noch heute streitet sich die Wissenschaft über die Glaubwürdigkeit dieses Berichtes. Entspricht er der Wahrheit, so muß man annehmen, daß das frühe Japan eine matriarchalische Gesellschaft war.

[1] The Last Temptation of Christ , USA, 1988, Universal
[2] Wörtlich: Gott/Gottheit
[3] auch Daoismus, philosophische und religiöse Lehre aus China. Entstand zwischen 400 und 300 vor Christus.
[4] Der Konfuzianismus ist eine praktische, moralische Philosophie. Zentrales Anliegen ist die Einbettung des Einzelnen in Familie, Staat und Moral im Sinne der chinesischen Tradition.
[5] In Indien entstanden, stellt er eine Synthese aus den Traditionen des Brahmanismus und volkstümlichen Kulten dar und kennt keine allgemein verbindliche Dogmatik
[6] Levi, A.: Samurai from Outer Space; Seite 35.



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