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Zensur:
Der Sonneberg-Prozess:
Die Geschichte eines Sündefalls

Die Geschichte um den als Sonneberg-Prozess bekannt gewordenen Fall nahm im Sommer 1995 ihren Anfang, als eine Armada von Polizisten (der Verlag spricht von 40) und Oberstaatsanwalt Hönninger die Räume des Verlagshauses Alpha/Edition Kunst der Comics und der Verlagsauslieferung Packwahn durchsuchten. Etliche Comics wurden beschlagnahmt und Strafanzeige gestellt. Unter anderem warf man den Sonnebergern "Verbreitung pornografischer Schriften" sowie "Nazi-Propaganda" vor. Letztere absurde Unterstellung, die jedoch in dem darauf folgenden Justiz-Skandal keine Rolle mehr spielen sollte, beruhte darauf, dass in den Räumen ein Plakat des Purlitzer-Preisträgers Art Spiegelmann gefunden wurde. Spiegelmann selbst ist ein in New York lebender Jude und zeichnete den Comic "Maus" (dt.: Rohwohlt). Hier schildert er die Geschichte seines Vaters in Auschwitz und die Auswirkungen dessen auf das Vater-Sohn-Verhältnis. Das Plakat zeigte übrigens die als Mäuse dargestellten Juden und als Katzen gezeichneten Nazis vor dem düsteren Hintergrund eines Hakenkreuzes.

Xoomic-Links:
Dossier: Zensur. mehr...

In der Folgezeit wurden in Deutschland circa 1.200 Buchhandlungen (ein Viertel aller deutschen Buchhandlungen) durchsucht und Bücher des Verlags/Vertriebs willkürlich beschlagnahmt.

Nach dreijährigen Ermittlungen richtete sich die Anklageschrift gegen nur noch 10 der ursprünglich 150 beschlagnahmten Titel. Das "Kondom des Grauens" von Ralf König war nicht mehr darunter. Oberstaatsanwalt Hönninger forderte Haftstrafen von 12-18 Monaten und berief sich unter anderem auf den zum Prozess geladenen Gutachter Dr.Glogauer. Dieser verlautbarte, daß Asterix und Micky Maus jugendgefährdend und gewaltverherrlichend seien. Nach Angaben der Sonneberger sei Glogauer "...lange Jahre wissenschaftlicher Beirat des Vereins für psychologische Menschenkenntnis..." gewesen. Sektenbeauftragte der Bundesländer würden den Verein für ebenso gefährlich wie Scientology halten.

Mehr zum Thema:
Comic: Zensiert
(Xoomic übernimt keine Verantwortung für den Inhalt externer Webseiten)

Das Meininger Landgericht verurteilte die Beteiligten am Ende des Prozesses zu je 2.500 DM Geldstrafe wegen des Vertriebs des Titels "Alkovengeheimnisse". Ein einzelnes Bild in dem Buch sei jugendgefährdend und gewaltverherrlichend. "Kinderpornografie..." - so lautete ein weiterer Vorwurf - konnte das Gericht "allerdings nicht erkennen." Ansonsten: Freispruch.

Damit war die Angelegenheit jedoch noch lange nicht erledigt. Staatsanwalt Hönninger ging in Revision und der Bundesgerichtshof in Karlsruhe stimmt dem Ende 1999 zu. Im März 2001 begannen die Verhandlungen erneut. Am 5. Verhandlungstag gab Staatsanwalt Hönninger überraschenderweise zu verstehen, dass er sich eine Verfahreseinstellung vorstellen könne. Gegen eine Geldbuße in Höhe von 15.000 DM wurde es dann Anfang April 2001 tatsächlich eingestellt. Geblieben ist der ökonomische Schaden für den Alpha-Verlag und die Verlagsauslieferung Packwahn. Der "Deal" ermöglicht den Geschädigten auch keine Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen. Durch die wegen der beschlagnahmten Titel blockierte Auslieferung der ursprünglich beanstandeten Titel und dem Imageschaden für die Sonneberger sei nach Aussagen von Achim Schnurrer ein ökonomischer Schaden in siebenstelliger Höhe entstanden.

Beurteilung des Falls:
"Eine Zensur findet nicht statt" heißt es im Grundgesetz. Diesen Satz kann die deutsche Justiz jedoch aushebeln, was im Folgenden belegt wird:

Exkurs:
1. Im Paragraph 131 StGB ist unter anderem geregelt, dass Schriften (Bücher, Zeitschriften, Comics, Bild- und Tonträger sowie Online- und Multimedia-Inhalte), die "geeignet sind, Kinder und Jugendliche sozialethisch zu desorientieren", Vertriebsbeschränkungen unterliegen. Dies trifft auf alle Werke zu, die von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften auf den Index gesetzt wurden, weil sie pornografisch und/oder gewaltverherrlichend sind. Für Publikationen, die ganz offensichtlich pornographischen Inhalts sind (wenn also Genitalien und der Akt explizit gezeigt wird, wie das bei Hardcore-Sex-Videos der Fall ist) gilt rechtlich das gleiche - auch dann, wenn sie nicht auf dem Index gelistet sind. Diese Werke dürfen Privatpersonen nicht in öffentlich zugänglichen Räumen (Ladenlokalen mit Publikumsverkehr) gezeigt, zugänglich gemacht oder verkauft werden. Sie dürfen aber in Räumen, die nur Personen ab 18 zugänglich sind, den Kunden gezeigt, verkauft oder vermietet werden. Diese Räume müssen in sich abgeschlossen und von außen nicht einsehbar sein. Eine einfache Trennung des Familien- und Erwachsenenbereichs durch einen Vorhang oder eine Türe im Inneren eines Ladenlokals ist nicht ausreichend. Ein postalischer Versand von Indexware an Endkunden ist wegen fehlender Kontrollmöglichkeiten ebenfalls verboten und strafbar. Ein Kaufmann, der die Regeln beachtet, handelt legal. Beispiele: Videotheken und Sexshops. Aber: Packwahn/Alpha vertreibt nicht an Endkunden, sondern an Comic-Shops, Buchhandlungen und den Pressegrosso. Genauer gesagt: Bei Fremdverlags-Publikationen liefert Packwahn lediglich nach Vorgabe des Auftraggebers aus. Dies ist erlaubt. Der Einzelhandel muss die Bestimmungen des Jugendschutzes in eigener Verantwortung einhalten.

2. Der Kunstvorbehalt besagt, dass Werke und Schriften, die eine über die Darstellung von Sex und Gewalt hinausgehende inhaltliche Intention verfolgen, in einem gewissen Rahmen Sex und Gewalt darstellen dürfen. Die Entscheidung, ob etwas Kunst oder Schund ist, ist in Deutschland jedoch juristische Ermessenssache.

3. Schriften, die Menschenverachtend und überaus gewaltverherrlichend sind, oder zum Beispiel Nazipropaganda enthalten, die Ehre von Verstorbenen angreifen etcetera, können beschlagnahmt und per Gerichtsentscheid verboten werden. Hier gilt - im Hinblick auf die deutsche Vergangenheit überaus verständlich - nicht das Zensurverbot. Der Besitz derartiger Werke ist schon strafbar.

Aber: Wer entscheidet in Deustchland eigentlich darüber - und welche Kriterien werden angelegt. Der Sonneberg-Prozess hat leider gezeigt, dass es im Ermessen von Einzelpersonen liegt - sogar im Ermessen derer persönlicher, juristisch irrelevanter Ansichten - ob und gegen wen ermittelt wird. Die Artikulation eines Anfangsverdachtes - gleich, ob dieser fundiert ist oder nicht - reicht aus, um Personen anzuklagen. Eine Kontrolle der Kontrolleure findet nicht statt. Jeder Staatsanwalt könnte (zumindest hypothetisch) Kafka, Grass und Goethe wegen Gewaltverherrlichung beschlagnahmen lassen - Szenen, die isoliert betrachtet bedenklich erscheinen, findet man darin zuhauf. Ein Schutz der Verlage, Buchhandlungen und Auslieferungen vor derartigen Eingriffen besteht nicht. In aufwändigen Prozessen müssen diese ihre Unschuld beweisen - wenn ihnen nicht vorher die Puste ausgeht (wie es bei den Sonnebergern der Fall war)

Fassen wir nochmal die Fakten zusammen:
Packwahn/Kunst der Comics hat keine indizierten Titel Kindern und Jugendlichen zugänglich gemacht und betreibt kein öffentliches Ladenlokal, in dem Index-Ware angeboten wird

Packwahn/Kunst der Comics hat keine verbotenen Titel vertrieben.

Packwahn/Kunst der Comics hat eine Geldstrafe zahlen müssen und hat kein Anrecht auf Schadensersatz.

Packwahn/Kunst der Comics hat prinzipiell überhaupt nicht illegales gemacht, sondern sich an die bestehenden Gesetze gehalten (s.o.). Dies kann man eindeutig aus den Gerichts-Verhandlungen herleiten. Seltsamerweise spielten aber bei den Verhandlung - besonders seitens der Kläger - diese Gesetze keine Rolle. Es wurde so getan, also ob der Vertrieb von Comics für Erwachsene prinzipiell strafbar sei. Kunstvorbehalt? Indizierung? Verbotene Machwerke? - alles implizit unterstellt. Auslieferung von Ware die nicht einmal indiziert, geschweige denn verboten ist? Nach Einschätzung von Oberstaatsanwalt Gönninger eine schwere Straftat. Konkret: Zwischen den deutschen Gesetzen und den Sonneberg-Prozessen lässt sich kein Bezug zur Realität herleiten. Phantasia-Justitia.

Schnurrer bezeichnete den Ausgang des Prozesses als "Kuhhandel." Seine Firma liege finanziell wegen des Prozesses am Boden. Ein positiver Ausgang wäre wahrscheinlich, aber nicht ganz sicher gewesen (wohl wegen "Ermessenssache"). Geld für weitere Gutachten, Prozessrunden und der damit verbundenen Anwaltskosten war nicht mehr da. Der Sonneberg-Prozess ist m.E. einer der größten Justiz-Skandale der Nachkriegszeit. Sein Ausgang auch. Schade eigentlich. (fk)



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