Manga-Spezial:
3. Die Geschichte des Animationsfilms bis zum 2. Weltkrieg
Die Anfänge des Animationsfilms in Japan lassen sich bis ins Jahr 1913 zurückverfolgen. Fasziniert von den Trickfilmen Randolph Brays, die 1910 in Japan zum ersten Mal gezeigt wurden, versuchten sich auch japanische Künstler auf diesem Gebiet der Animation. Zu Pionieren des doga, wie die Animationsfilme bis 1950 hießen, wurden Seitaro Kitayama, Junichi Kouchi und Oten Shimokawa.
Kitayama begann 1913 mit seinen ersten Entwürfen. 1917 präsentierte er seine ersten Animationsfilme Saru kani kassen (Die Krabbe nimmt Rache am Affen), Katz und Maus und Der freche Postkasten. Das Zeichnen von Zwischentiteln bei Stummfilmen hatte ihn mit der Tintentechnik vertraut gemacht, die er auch für seine Filme verwendete. Seine Filme thematisierten zumeist traditionelle Märchen. Er war ein sehr produktiver Künstler und stellte pro Jahr bis zu sechs Filme fertig. Sein Werk Momotaro (Der Pfirsichjunge) von 1918 war der erste japanische Animationsfilm, der im Ausland gezeigt wurde und zwar 1921 in Paris.
Wie Katayama, so debütierte auch Kouchi 1917. Sein Erstlingswerk trug den Titel The Lazy Sword. Im Gegensatz zum Erstgenannten hatte er jedoch eine Schwäche für bodenständigere Themen wie etwa Samuraigeschichten oder Alltagsmythen. Zu Beginn der zwanziger Jahre führte er parallel zu einigen anderen den Gebrauch von Graunuancen in animierten Bildern in Japan ein.
Shimokawa verwendete anfangs eine völlig andere Animationstechnik. Er benutzte nicht Einzelblattzeichnungen, sondern zeichnete mit Kreide auf Tafeln. Nach Ablichtung jedes einzelnen Frames wurde dann die Zeichnung etwas korrigiert. Vom Prinzip her also der Puppenanimation ähnlich. Seine Technik konnte sich allerdings nicht durchsetzen, und auch er ging dann noch zum Zeichnen auf Papier über, bevor er sich aufgrund eines Augenleidens ganz aus dem Metier zurückziehen mußte.
Am Bekanntesten in Europa wurde jedoch ein Schüler und Mitarbeiter Kouchis: Noburo Ofuji (1900-1974). Schon im Alter von 18 Jahren stieß er zu Kouchis Team. Mitte der zwanziger Jahre begann er dann, alleine zu arbeiten. Er war nicht der Meinung, daß die Animation ausschließlich eine Kunst der Komödie sein müsse, und wendete sich deshalb erwachseneren Themen wie Drama und Erotik zu. Sein Meisterwerk ist wohl Kujira (Der Wal, 1927), der als herausragendes Beispiel von Action und Spannung gilt. Ofuji verwendete hier eine spezielle Technik: Er schnitt seine Figuren aus goyami, einem semi-transparenten Papier, aus und arrangierte sie auf übereinanderliegenden Glasplatten. Das Ergebnis ist eine märchenhafte Welt aus Transparenz und Schatten. Man spürt den Versuch des Perfektionisten, die flüssige Bewegung zu kreieren und sich damit von den anderen Animationsfilmen dieser Zeit abzuheben und zu lösen. Erwähnenswert wären hier auch noch sein erster Tonfilm von 1930 Sekisho (Die Inspektions-Station) und sein erster Farbfilm von 1937 Katsura Hime (Prinzessin Katsura).
Die politischen Entwicklungen zu Beginn der dreißiger Jahre und der Ausbruch des sino-japanischen Krieges 1933 blieben nicht ohne Einfluß auf die Zeichentrickindustrie. Wie bei den Mangas, so kam es auch bei den dogas zu einer Zentralisierung. Die Behörden wollten damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Man hoffte, durch eine Bündelung der Kräfte das propagandistische Potential dieser populären Kunst optimal ausschlachten zu können und die Kontrolle der Inhalte zu vereinfachen.
Einer der bekanntesten Künstler dieser Zeit war Kenzo Masaoka. Schon kurz nach seinem Animationsdebüt mit Sarugashima (Die Affeninsel, 1930) wurden er und sein Team in die staatliche Propagandamaschinerie eingegliedert. Abgesehen von den ihm vordiktierten Stoffen beschäftigte sich Masaoka in dieser Zeit aber auch noch mit kleinen alltäglichen Geschichten und Volksweisen, die er meisterhaft umzusetzen wußte. Sein erster Tonfilm entstand 1932. Chikara to Onna No Yononaka (Die Welt der Frauen und der Macht) ist die vergnügliche Geschichte eines kleinen, verheirateten Angestellten, der sich in eine Typistin verliebt. Bekannt wurde auch Benkai tai Ushikawa (Benkai, der Priester-Soldat und der kleine Samurai Ushikawa, 1939), insbesondere auch für seinen dezidierten Einsatz von Musik. Sein Meisterwerk kreierte er dann jedoch 1943: Kumo to Chulip (Die Spinne und die Tulpe), das teilweise auf einer literarischen Vorlage von Michiko Yokoyama beruhte. In diesem Film wird ein Marienkäfer von einer Schwarzen Witwe verfolgt und flüchtet sich vor ihr in eine Tulpe. Als nun der Gott des Donners einen Sturm verursachte, wird alles fortgerissen, nur nicht die Tulpe.
Mitsuyo Seo war Assistent bei Masaoka, bevor er 1933 ein Studio unter seinem eigenen Namen eröffnete. Obwohl er sich fast ausschließlich der Propaganda verschrieb, muß sein Name hier genannt werden. Seine Filme zeichnen sich durch einen besonders realistischen Umgang mit der Bewegung aus. Unter seiner Federführung entstand dann 1943 auch der erste abendfüllende japanische Zeichentrickfilm Momotaro-umi nonshinpei (Momotaro, der göttliche Seemann), in dem anthropomorphe, kaiserliche Truppen einen Landestreifen bauen, ausgebildet werden und dann eine feindliche Basis auf Neu Guinea erstürmen. "Although the film was made for propaganda and recruiting purposes, it has some charm of its own, (...)" [1] .
Abschließend sei hier Kon Ichikawa [2] erwähnt. Schon im frühen Kindesalter faszinierten ihn die Filme Walt Disneys. Für ihn vereinigten sie all das in sich, was ihn interessierte: Film, Malerei und Zeichnung. Als dann 1936 das Jo Studio in der Nähe Kyotos gegründet wurde und man dort auch eine kleine Animationsabteilung etablierte, heuerte er dort als Zeichner an. Doch schon bald wurde die Abteilung zur finanziellen Belastung für Jo. Mehr und mehr Mitarbeiter wurden entlassen bis am Ende nur noch Ichikawa übrig war. Er war nun für alles allein verantwortlich. Er zeichnete, animierte, filmte und schrieb sogar die Drehbücher selbst. Sein Kurzfilm Kachkachi Yama (Der Hase nimmt Rache am Waschbären) von 1939 lehnt sich eindeutig in Stil und Struktur an die Silly Symphonies Walt Disneys an und paßt wie seine Vorbilder die Handlung der Musik an. Im Zuge der Neustrukturierung der Studios unter der Militärdiktatur zog das Studio, das inzwischen Toho Eiga hieß, nach Tokio und Ichikawa ging mit. Dort arbeitete er eine Zeit lang als Regieassistent bei Realfilmen. 1944 entschied sich die Studioleitung dazu, wieder einen Animationsfilm zu produzieren. Aufgrund seiner einzigartigen Erfahrung machte man Ichikawa zum Regisseur. Leider wurde der Puppentrickfilm Musume Dojoji (Ein Mädchen in Dojos Tempel, 1947), eine Adaption eines kabuki-Stücks, von der amerikanischen Besatzungsmacht verboten und beschlagnahmt. Bis heute kam er nicht zur Aufführung. Der Regisseur selbst bezeichnet diesen Film noch heute als sein größtes Werk.
Aber Ichikawa ist nicht nur aufgrund seiner Animationsfilme in die japanische Filmgeschichte eingegangen. Vielmehr wurde er erst richtig bekannt, als er sich in den fünfziger Jahren dem Realfilm zuwendete. Seine Filme Pu San (Herr Pu, 1953), Biruma no Tategoto (Die burmesische Harfe, 1956) und Nobi (Feuer auf den Ebenen, 1959) gehören zu den Meisterwerken japanischer Filmkunst. Sein Name wird in Japan im gleichen Atemzug mit Kurosawa [3] , Ozu [4] und Mizoguchi [5] genannt.
[1] Bendazzi, G.: Cartoons; Seite 105
[2] geboren 20. November 1915 in Kyoto
[3] Akira, geboren 23. März 1910, bekannteste Werke
unter anderem Die Sieben Samurai (1953),
Rashomon (1951, Goldener Löwe/Cannes), Ran (1984)
[4] Yasujiro, geboren 15. Dezember 1909 in Tokio,
gestorben 12. Dezember 1963; Ein Herbstnachmittag (1962)
[5] Kenji, geboren 19. Mai 1898 in Tokio,
gestorben 24. August 1956 in Kyoto; Ehren-Oskar
für den besten ausländischen Film für
Die Samurai Sippe der Taira 1955
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